Kommentar |
Stefan Hermes: Jüdisch-deutsche Gegenwartsliteratur
So geläufig das im Seminartitel verwendete Doppelattribut 'jüdisch-deutsch' auch sein mag, so unklar bleibt häufig, was es konkret bezeichnen soll. Indes wird diese Vagheit hier bewusst in Kauf genommen, wollen wir doch nicht zuletzt eruieren, welche höchst unterschiedlichen Antworten die zu untersuchenden Texte auf die Frage geben, wer oder was denn eigentlich als jüdisch bzw. als deutsch gelten kann. Darüber hinaus werden wir uns in besonderem Maße für die Friktionen und Widersprüchlichkeiten interessieren (müssen), die sich in diesem Zusammenhang ergeben – und die wesentlich mit der Erinnerung an die Shoah zu tun haben. Auch das Verhältnis in Deutschland lebender Juden zum Staat Israel spielt in vielen einschlägigen Werken eine zentrale Rolle, sodass wir uns mit dessen Darstellung ebenfalls befassen werden. Exemplarisch zu erschließen ist also die Art und Weise, in der die Literatur an einer höchst komplexen, kontrovers geführten Debatte um Identität und Alterität, um Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit partizipiert.
Geschehen soll dies anhand von Texten ganz unterschiedlicher Gattungszugehörigkeit, darunter (autobiographisch gefärbte) Romane wie Olga Grjasnowas Der Russe ist einer der Birken liebt (2012) und Tomer Gardis Broken German (2016), Maxim Billers 'Selbstporträt' Der gebrauchte Jude (2009), Dmitirj Kapitelmans Reisebericht Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters (2016) sowie einige Gedichte und Essays von Max Czollek. Hinzu kommt Daniel Cohn-Bendits sehr persönlicher Dokumentarfilm Wir sind alle deutsche Juden (2020); außerdem ist ein gemeinsamer Besuch der Alten Synagoge in Essen vorgesehen. |